Vor ein paar Jahren wohnte ich in einer WG im Erdgeschoss. Die Fenster waren schlecht isoliert. Das hatte Folgen: Vom Küchenfenster aus verlief eine Ameisenstraße direkt in meinen Müslikarton. Es hat ewig gedauert, bis ich die Viecher wieder losgeworden bin.
Ich hatte nie viel übrig für Ameisen. Man kann sie nicht streicheln. Viele Arten stechen oder beißen, wenn sie sich bedroht fühlen. Oder pinkeln einen an. Meine Meinung zu Ameisen hat sich während dieser Recherche allerdings geändert.
Laut dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist in Deutschland keine andere Insektengruppe so bedroht wie die Ameisen. Vom Wildbienensterben wissen wir mittlerweile alle. Aber wusstest du, dass 90 Prozent der hier lebenden Ameisenarten in ihrer Population rückläufig sind? Noch krabbeln rund 20 Billiarden Ameisen auf unserer Erde umher. Und weil sie so viele sind und wichtige Wechselwirkungen mit anderen Organismen eingehen, haben Ameisen gewisse Schlüsselfunktionen in Ökosystemen.
Ökosysteme sind Gemeinschaften, die aus einer Biozönose, also der Lebensgemeinschaft aus Pflanzen und Tieren, und einem Biotop, der als Lebensraum für Organismen dient, bestehen. Sowohl die biotischen (lebenden) als auch abiotischen (unbelebten) Elemente sind Teil des Ökosystems. Manche Tiere spielen eine wichtigere Rolle im Ökosystem als andere: die sogenannten Schlüsselarten („Keystone Animals“).
Der Forscher Robert Paine entdeckte in den 1960er Jahren, dass bestimmte Tierarten die Artenvielfalt in ihrem Lebensraum so stark beeinflussen, dass ihr Verschwinden sogar bis zum Kollaps eines Ökosystems führen kann. Das Magazin National Geographic beschreibt drei verschiedene Varianten von Schlüsselarten: (1) Prädatoren, beispielsweise der Wolf, Ökosystem-Ingenieure, wie Biber, und Lebewesen, die in Symbiose mit anderen leben, zum Beispiel Bienen.
Stell dir vor, du bist Gärtner:in und die Ameisen sind plötzlich alle weg. Erstmal atmest du vielleicht auf: Gut, dann verschwinden auch die Blattläuse von meinen Rosen! Aber sind die Blattläuse weg, verschwinden vielleicht auch die Marienkäfer, die sich von ihnen ernähren. Und das wiederum hätte hungrige Vögel oder Igel zur Folge. „Das würde eine Kaskade von Lebewesen hinter sich herziehen“, sagt die Evolutionsbiologin Susanne Foitzik von der Universität Mainz.
Dir ist vielleicht schon klar, worum es hier geht: um Biodiversität. Denn wenn wir die Artenvielfalt verlieren, verlieren wir auch unsere Lebensgrundlage. Ich habe deshalb nicht nur mit Susanne Foitzik, sondern auch mit zahlreichen anderen Expert:innen gesprochen, um herauszufinden: Wie können wir Ameisen retten – und damit vielleicht auch uns selbst?